So viel wir auch über Emanzipation sprechen, so selten trauen wir uns doch im privaten Umfeld für persönliche Veränderungen zu kämpfen. Unsere Männer sollten nicht unsere Gegner sein. Sie haben vielmehr das Potential unsere stärksten Verbündeten zu werden. Es ist an uns, ihnen das klar zu machen.
Dieser Beitrag entstand auf der Grundlage unzähliger Gespräche mit den verschiedensten Frauen aus den unterschiedlichsten Altersgruppen und mit vollkommen konträren Lebensentwürfen. Er spiegelt die Zerrissenheit von Frauen und Müttern wider, die einerseits den Wunsch nach mehr Freiheit und Unabhängigkeit haben und andererseits Erfüllung in klassischen Rollenmustern und Abhängigkeiten finden. Die Überlegung sich vom Partner zu trennen, um dieser Abhängigkeit zu entkommen, begleitet sie oft über Jahre hinweg. Aber müssen wir Frauen uns wirklich vom klassischen Familienkonstrukt lösen, um ein freies, unabhängiges und selbstbestimmtes Leben zu führen?
Wie wir innerhalb der Familie selbstbestimmt handeln, ohne egoistisch zu sein
Hast du das Gefühl, als Frau nie die Hauptrolle in deinem eigenen Leben zu spielen? Werden deine Bedürfnisse, Wünsche und Entscheidungen ständig von deinem Umfeld kleingemacht oder sogar ignoriert? Und weißt du eigentlich ganz tief in deinem Herzen, dass dir ein anderes „Sein“ bestimmt ist? Dann möchte ich dich hiermit liebevoll daran erinnern, dass es einen großen Unterschied zwischen selbstbestimmtem Handeln und Egoismus gibt, den wir Frauen als harmoniebedürftige Partnerinnen und Mütter leider allzu oft vergessen.
Egoistisches Handeln:
Streben nach Erlangung von Vorteilen für die eigene Person, nach Erfüllung der die eigene Person betreffenden Wünsche ohne Rücksicht auf die Ansprüche anderer; (Quelle: Wikipedia)
Selbstbestimmtes Handeln:
Selbstbestimmung bedeutet nach freiem Willen über sein Leben entscheiden zu können. … Es ist letztendlich das Gegenteil von Manipulation, Fremdbestimmung bzw. Unterdrückung. (Quelle: wendezeit.ch)
Die Herausforderung:
Die Ausübung des persönlichen Selbstbestimmungsrechts darf nicht dazu führen, dass andere Personen in deren Selbstbestimmungsrecht eingeschränkt werden!
Selbstbestimmung: Was in der Theorie simpel klingt, wird in der Praxis zur Herausforderung
Puh, denkt man da an das Konstrukt „Ehe und Familie“ ist das eine ziemlich verzwickte Angelegenheit. Denn das müsste bedeuten, dass es innerhalb der Familie ein völliges Gleichgewicht beider Partner gibt. Eine faire Verteilung der Macht. Der Finanzen. Der Pflichten im Haushalt. Und der Kinderbetreuung. Das ist bisher aber eher selten der Fall.
Wie kann ich als Frau frei, unabhängig und selbstbestimmt handeln, wenn ich nicht über den gleichen, freien Anteil an Geld verfüge? Wenn ich weniger Zeit in meine Karriere investiere, um die Kinder zu versorgen und den Haushalt zu stemmen. Meist sorgen wir uns mehr um die anderen, als um uns selbst. Vielleicht klingt das zu sehr nach Klischee und ist zu wenig politisch korrekt. Frauen, das schwache Geschlecht. Aber wir sind eben anders, als unsere Männer. Zwischen gleich und gleichberechtigt gibt es einen Unterschied, der mir früher so nicht klar war.
Wir Frauen möchten niemanden mit unserem Handeln vor den Kopf stoßen oder verletzten. Unsere Ehe oder gar die Familie zerstören, weil wir uns ein selbstbestimmteres Leben wünschen. Das scheint kaum mit dem eigenen Gewissen vereinbar. Schließlich lieben wir unsere Kinder, den Partner und vielleicht auch das Sicherheitsgefühl. Wir wünschen uns, dass alle glücklich sind.
Aber dürfen wir das nicht auch selbst erwarten? Selbstbestimmtheit, Glück, Leidenschaft. Das pure Leben spüren. Jeden Tag aufs Neue und auf Augenhöhe? Ich finde, das dürfen wir. Und zwar ohne uns ständig über irgendetwas ärgern zu müssen. Darüber, dass wir nicht gehört werden. Oder dass uns die Entscheidungsgewalt zumindest zum Teil abgesprochen wird. Weil wir viele Aufgaben übernehmen, die von der Gesellschaft als minderwertig wahrgenommen werden.
Selbstbestimmtheit hat auch immer etwas mit Selbstvertrauen, Selbstliebe und Selbstachtung zu tun. Wie können wir ein lebenswertes Leben führen, wenn wir dauerhaft zurückstecken müssen?
Anstatt im Kleinen für Gleichberechtigung zu kämpfen, sind wir Frauen lieber wütend und enttäuscht
Irgendwo zwischen Selbstaufgabe und Egoismus müssen wir innerhalb der Familie also eine Balance finden, die alle zufriedenstellt. Einen Kompromiss. Aber sind Kompromisse wirklich der richtige Weg zu einem selbstbestimmten Leben? Zu einer funktionierenden Ehe? Einer glücklichen Familie? Vermutlich nur dann, wenn die Vorstellungen aller nah genug beieinander liegen.
Wir reden viel von der Befreiung aus Abhängigkeiten, unsere gelebten Rollenmuster sprechen aber meist eine ganz andere Sprache. Das ist für mich das Paradoxon der modernen Frau und Mutter.
Warum denken wir Frauen so oft still und heimlich über eine radikale Trennung von unseren Männern nach, anstatt unsere Energie darauf zu verwenden, eine realistische Lösung zu finden, wie wir innerhalb unserer Partnerschaft bekommen, was wir uns wirklich wünschen: Sicherheit und Freiheit.
Nach außen geben wir uns emanzipiert, trauen uns aber nicht im privaten Kreis für Gleichberechtigung und eine Beziehung auf Augenhöhe zu kämpfen. Stattdessen sind wir wütend, enttäuscht und fühlen uns ohnmächtig. Meist über Jahre hinweg.
Häufigste Gründe, warum Familien zerbrechen: Inkompatible Lebensentwürfe und permanenter Streit
2018 gab es laut Statistischem Bundesamt 416 600 Eheschließungen und 148 066 Scheidungen. Etwa die Hälfte davon hatte minderjährige Kinder. Woran sind diese Ehen gescheitert? Was waren die Trennungsgründe und wie hätte aus einer zerbrochenen doch noch eine glückliche Ehe werden können?
„Eine Umfrage unter 43.000 Frauen ergab, dass verschiedene Lebensziele der häufigste Grund sind, aus der sie die Scheidung einreichen. Fast 32 Prozent nannten unterschiedliche Vorstellungen von der Zukunft als Hauptgrund. Aber auch Untreue, permanenter Streit, fehlende Intimität und physische sowie psychische Gewalt wurden genannt.“ (Quelle: brigitte.de)
„Der US-Forscher John Gottman hat gezeigt, dass eine Beziehung glücklich ist, wenn auf fünf positive Interaktionen zwischen den Partnern eine einzige negative kommt. Mit dieser Gottmann-Konstante lässt sich in mehr als 90 Prozent aller Fälle korrekt vorhersagen, ob ein Paar sich trennen wird. Besonders schädlich sind folgende Verhaltensweisen: häufige Kritik am Partner, Respektlosigkeit, Schuldzuweisungen und die Tendenz zum emotionalen Rückzug.“ (Quelle: welt.de)
Ich denke, das kann man so auf jede x-beliebige Beziehung übertragen. Sei es die zum Partner, den Kindern, den Eltern und Schwiegereltern, Freunden oder sogar zu sich selbst.
Die 5 apokalyptischen Reiter der Trennung
„Der erste Reiter ist die Kritik. Wer beschuldigt und angeklagt wird fühlt sich immer attackiert, sagt Gottman. Er reagiert mit der natürlichen Reaktion der Verteidigung, dem zweiten apokalyptischen Reiter. Wer sich rechtfertigt, hält jedoch den Konflikt am Leben oder macht ihn noch schlimmer.
Der dritte Reiter ist der Rückzug, das „Mauern“, ein Verhalten, das jemand zeigt, der sich machtlos fühlt. Er verschränkt die Arme, vermeidet Augenkontakt, schaltet auf Durchzug. Das sieht nach Desinteresse aus und macht den Partner noch wütender. Aber Mauern tritt typischerweise ab einem Puls von 100 auf, sagt Gottman. Es ist eine Verzweiflungstat.
Der vierte Reiter ist die Verachtung. Ein leichtes Augenrollen, auf den Partner heruntersehen, ihn nicht ernst nehmen. Verachtung gibt es in glücklichen Beziehungen nicht. In unglücklichen dominiert sie.“ (Quelle: welt.de)
„Der fünfte und finale Reiter, der auf das Ende einer Partnerschaft deutet, heißt „Machtdemonstration“. Gottman hat ihn nachträglich ins Rennen geschickt, denn anfangs kam er bei seinen Überlegungen auf vier apokalyptische Reiter.
Aber die haben ohnehin schon ganze Arbeit geleistet, wenn der fünfte – die Machtdemonstration – das Schlachtfeld betritt. Das Interesse am Partner ist gänzlich gewichen. Die Zeit, als beide noch Rücksicht auf die Bedürfnisse des anderen genommen haben, ist endgültig vorbei.“ (Quelle: planet-wissen.de)
Ist eine Scheidung vom Partner oder das Beenden anderer konfliktreicher Beziehungen also der Schlüssel zu mehr Selbstbestimmtheit? Und ist der Wunsch nach mehr Unabhängigkeit und Distanz wirklich der Vorbote einer Trennung? Oder gibt es bessere Wege zu mehr Zufriedenheit, Erfüllung und Selbstbestimmung innerhalb der Familie?
Wir Frauen haben oft die romantische Vorstellung, dass uns nur das „Wir“ zum erfüllten „Ich“ macht
Gerade wir Frauen haben die romantische Vorstellung, dass uns nur das „Wir“ zum erfüllten „Ich“ macht. Der Gedanke eigentlich nicht gebraucht zu werden, weil sich der Partner selbst genug ist, tut uns da besonders weh. Denn vor allem aus dem Gebrauchtwerden ziehen wir Kraft. Darin sehen wir gern unsere Bestimmung. Ganz unemanzipiert. Deshalb sprechen wir unseren Liebsten ihre Verantwortung ab und machen sie, gewollt oder ungewollt, von uns abhängig. Nur um nicht Gefahr zu laufen, von unseren Ehemännern oder Kindern nicht mehr gebraucht zu werden. Wir klammern uns so sehr an die Ansicht, dass die Familie ohne uns nicht klarkommt. Beschweren uns auf der anderen Seite aber über die Verantwortung, der wir nie gerecht zu werden scheinen.
Ein Paartherapeut aus Berlin beschreibt das so:
„Ich behaupte, man sollte in einer guten Weise auch in einer Paarbeziehung Single sein. Das Gebot der zur Nächstenliebe schließt die Aufforderung zur Selbstliebe mit ein. Wir sollen nicht nur andere lieben, bewundern und versorgen, sondern zunächst eine liebevolle Haltung zu uns selbst einnehmen.
Zudem geht es, neben inneren Freiräumen auch um zeitliche und räumliche Rückzugsorte und Momente der Unabhängigkeit. Diese brauchen wir, weil wir sind als Partner*Innen irgendwann meinen, uns selbst zugunsten des stetig wachsenden und alles dominierenden Wir der Paarbeziehung vergessen zu haben. Eine Paarbeziehung als gelingendes Wir braucht zwei starke und unabhängige Ichs. Um meinen Ich-Bereich in der Paarbeziehung zu wahren, muss ich, nach der Anfangsphase verliebter Verschmelzung irgendwann in einer Beziehung auch meine eigenen Freiräume zurückerobern, einfordern und lebendig halten; auch wenn hier vielleicht erst einmal Erklärungsbedarf dem/der Partner*In gegenüber entsteht.
Ich beobachte manchmal, dass einzelne Partner, aber auch beide Partner als Paar verstrickt sind in einem Kreislauf aus Forderungen und Überforderungen in der Paarbeziehung. Eine Partnerschaft und ein/e Partner*In muss dann hohen Ansprüchen und Idealen entsprechen. Genügen sie nicht, entsteht Beziehungsfrust und ein langsamer innerer Rückzug vom Partner; aber eben nicht selbstbewusst und frei, sondern als Reaktion und mit unguter Begleitstimmung. Die andere Variante ist das allseits bekannte Klammern, also das Nicht-vom-Partner-Loslassen, so als wolle man ihn auspressen, um endlich das zu erhalten, was die Ansprüche einfordern. Man könnte es so sehen, als sei man irgendwie auf der anderen Seite eines Feldes angelangt, auf der des Partners. Den eigenen Bereich hat man dabei verlassen und der Fokus ist ganz auf den anderen gerichtet.“ (Quelle: einzelundpaartherapie.de)
Ist es möglich, dass jeder die Hauptrolle in seinem eigenen Leben spielt, während die anderen im Stück des Partners nur eine Nebenrolle einnehmen? Ist das der gesunde Weg, Familie zu leben? Indem jeder sich selbst genug ist und es einfach schön ist, wenn der andere noch vorbeischaut – ohne dass ein Gefühl von Gleichgültigkeit entsteht.
Vielleicht ist es das: das persönliche Glück nicht vom Verhalten des Partners, den Kindern, den Großeltern oder den Freunden abhängig zu machen. Die Verantwortung für sich selbst zu übernehmen. Zu einhundert Prozent. Und nicht vom Partner zu erwarten, ein elementarer Baustein des persönlichen Glücks zu sein.
Wie wir freier und unabhängiger werden, ohne unsere Familie aufzugeben
Um frei und unabhängig zu sein, müssen wir uns nicht gleich von alten Idealen verabschieden. Und wir müssen auch nicht zu flammenden Feministinnen werden, wenn wir das nicht möchten.
Stattdessen sollten wir darüber nachdenken, wer wir sind und wer wir in Zukunft sein möchten. Uns darüber klar werden, was uns glücklich macht und dass wir für dieses Glück selbst verantwortlich sind. Herausfinden, was uns in unserem Leben fehlt und dieses Defizit auffüllen. Unabhängig werden und dem Partner sowie den Kindern ihre eigene Unabhängigkeit zugestehen. Grenzen festlegen, die wir nicht überschreiten, um uns selbst und anderen diese Freiräume zu lassen. Optimieren, wenn der Weg sich plötzlich nicht mehr richtig anfühlt. Uns selbst lieben. Achten. Und ehren. Und die anderen sich selbst lieben, ehren und achten lassen. Ohne diese Selbstliebe als Egoismus zu interpretieren. Sodass wir alle auf unserer eigenen Bühne glänzen und den Applaus der anderen genießen können. Frei. Unabhängig. Selbstbestimmt. Und vielleicht auch ein bisschen weniger wütend.
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